Wie Onlinehändler den stationären Handel entdecken.

Nachdem viel über das Sterben des stationären Handels und die verwaisten Innenstädte als Zukunftsszenario geschrieben wurde, entdecken nun ausgerechnet die Online-Händler die Vorteile des stationären Handels. Während die stationären Händler noch versuchen ihre Verkaufserfolge ins Internet zu übertragen, gehen Onlinehändler wie z. B. Zalando mit eigenen Geschäften in die Innenstädte. Da lohnt es sich doch, die Gründe einmal genauer zu analysieren.

Aktuelle Situation der Onlinehändler in Deutschland

Laut aktueller EHI-Studie „E-Commerce-Markt Deutschland 2018“ wächst der deutsche E-Commerce Markt um 11,3 % und überschreiten die Umsatzmarke von 60 Milliarden Euro. Marktplätze wie Amazon und Ebay steigerten die Umsätze um 9,8 % und erwirtschaften damit 50% des Umsatzes der Branche. Der Lebensmittel-Onlinehandel wächst mit 26,9% am stärksten, bewegt sich aber mit 346 Millionen weiterhin auf einem vergleichsweise niedrigerem Niveau. Eines der größeren Segmente ist Bekleidung mit einem Umsatz von 2,8 Milliarden Euro. Der Onlinehandel hat es bisher geschafft, neben dem stationären Handel seinen Beitrag zur Grundversorgung der Bevölkerung zu leisten.

On- Offline-Umsatz im Vergleich

Die Entwicklung des Shopperverhaltens hat natürlich Auswirkungen auf den stationären Handel, der, wenn er dem Ladensterben entgegenwirken will, einfallsreich und flexibel am eigenen Konzept feilen sollte. Die Onlinehändler tun es genauso, denn nachdem die Potentiale der Prozessoptimierung über Jahre ausgereizt wurden und die Entwicklungen über Neukundengewinnung im eigenen Segment schwierig werden, brechen sie mit neuen Konzepten in den stationären Handel als Wachstumsoption auf.

Expansionsstrategien der Online-Händler

 Nachdem uns viele Onlinehändler gezeigt haben wie wir Big Data und Marketing Automation einsetzen, wurden Stück für Stück alle nur denkbaren Wachstumspotentiale ausgeschöpft, die es in diesem Kanal und diesem Geschäftsmodell gibt. Die Wachstumschancen und alle nur denkbaren Potentiale wurden erkannt und gewinnbringend und öffentlichkeitswirksam genutzt. Doch das Wachstum in der Kategorie ist endlich und kann nur durch Strategien außerhalb des bisherigen Tellerrands ausgeschöpft werden.

Warum geht der Trend zum realen Geschäft?

Die Gründe für den Onlinehandel offline aktiv zu werden sind vielfältig aber im Wesentlichen sind es fünf.

1. Gewinnung neuer Marktsegmente

Auch wenn schon viele Shopper online kaufen gibt es doch noch einige Segmente, die vergleichsweise schlechter im Onlinehandel funktionieren. Der Onlinehandel von z. B. Möbeln (10,7%) oder Heimwerkerbedarf (4,6%) zeigt die Stärke des stationären Handels. (Vgl. Mode 23,5%) Denn bei diesem Kauf ist der reale Kontakt mit dem Produkt gepaart mit der Beratung und Serviceleistungen vor Ort.

Zum zweiten gibt es auch einen signifikanten Unterschied in der Akzeptanz und damit Nutzung des Onlinehandels in unterschiedlichen Altersgruppen. In Zahlen ausgedrückt: 85% der 25-44-Jährigen gegenüber 47% der Über-65-Jährigen (Statistisches Bundesamt). Auch hier bietet die Präsenz vor Ort die Möglichkeit neue Kunden zu gewinnen.

2. Alternative zu hohen Kundengewinnungskosten im Onlinehandel

Die Onlinevertriebsmodelle der Händler konzentrierten sich in den vergangenen Jahren auf all die, die sich leicht zum Onlinekauf gewinnen ließen. Mittlerweile stoßen sie aber an Wachstumsgrenzen und die marginalen Grenzkosten zur Kundengewinnung steigen enorm. Neue Kundengruppen zu erschließen ist ab jetzt kostenintensiv, so werden eigene Filialen für Onlinehändler hochattraktiv um zu wachsen.

3. Schaffung zusätzlicher Kontaktpunkte & der Plakatwandeffekt

Je mehr Kontaktpunkte einer Marke oder eines Händlers, desto mehr kommt der Shopper mit der Marke in Kontakt und wird sich eher an die Marke erinnern. Dabei wirken einige Touchpoints im Bewusstsein der Shopper mehr als andere. So auch bei einer Filiale im Vergleich zu klassischer Werbung. Das Geschäft ist wie eine Plakatwand für die Steigerung der Markenbekanntheit, jedoch kann ich hier die Marke auch erleben und direkt in Kontakt kommen.

Studien zeigen, dass Offlinestores den Umsatz im Onlinestore sogar ankurbeln können. Besonders in Gegenden, in denen vorher noch kein Offlinestore der Marke verfügbar war. Grund dafür ist höchstwahrscheinlich der sog. Billboard-Effekt. Der Offline Store macht auf die Marke aufmerksam und zieht auch mehr Shopper in den Online Store. Mr. Spex verfolgt diese Strategie und profitiert enorm davon.

4. Gewinnung von Kundeninformationen

Während der Onlinehandel dank Cookies und Kaufhistorie quantitativ genau analysiert werden kann, bietet der stationäre Handel durch WLAN, Bluetooth, NFC etc. die Möglichkeit viel qualitative Marktforschung durch Interaktion zwischen Shopper und Verkaufspersonal für z. B. eine genauere Basis für eine ausgereiftes Category Management durchzuführen. Die so gewonnenen Daten sind für die Entwicklung der Marke und die Entwicklung von Artikeln und der Produktpalette von unschätzbarem Wert. Die Daten liefern auch Informationen über den Kunden, die für stationären als auch Onlinehandel hilfreich sein können, wie z. B. Wer kauft was? Welche Produkte werden auch gekauft? Wer sieht sich was an? Wer nimmt was in die Hand? Und ganz zum Schluss: wer bewegt sich wie durch den Verkaufsraum?

5. Zusätzliche Wertschöpfung & Loyalität

In einigen Segmenten sind die Möglichkeiten des Upselling und Cross Selling im Offlinehandel höher als im Onlinehandel. Denn beim Einkauf hochwertiger Produkte bieten die Beratung und das reale Kauferlebnis mehr Chance als der Hinweis „Andere Kunden haben auch gekauft“.

Warum hat der Online-Händler schneller Erfolg?

Einen Vorteil haben Online-Händler im Vergleich zu einem Nicht-Online-Händlern. Sie starten mit sehr viel Wissen über die eigenen Kunden und mit umfangreichem Vermarktungs-Know-how. Der Online-Shops ist bis ins letzte Detail optimiert, stark data-driven mit klaren KPIs und definiertem ROI. Er arbeitet also ohne Ballast ausschließlich auf die Bedürfnisse des Shoppers fokussiert. Mit diesem Wissen wird dann das Ladengeschäft eingerichtet, das Marketing betrieben und der Kunden im Geschäft angesprochen. So haben Online-Händler viel schneller Erfolg, als Stores, der ohne Vorkenntnisse startet.

Meine Handlungsempfehlung

Wenn Sie jetzt ein Patentrezept für den perfekten Start des stationären Angebots für Onlinehändler erwarten, muss ich Sie enttäuschen, das gibt es nicht. Es erfordert neben einer klaren Standortanalyse und dem geeigneten Konzept für eine definierte Zielgruppe vor allem eines: Mut. Meine Empfehlung: Testen Sie im kleinen. Gehen Sie in Ihr Kernabsatzgebiet und lernen Sie in einem Markt, der Ihnen als Onlinehändler bisher fremd war.

Nutzen Sie den Effekt, dass Kunden immer häufiger in den stationären Handel gehen. Shopper lassen sich gern inspirieren und suchen nach echten Markenerlebnissen. Präsenz schafft auch Vertrauen: in den Händler und die Produkte & Services. Genießen Sie in ihrer Filiale das 1:1 Feedback der Kunden in Echtzeit plus der Möglichkeit des Dialogs und einer qualifizierten Beratung.

Fazit

Das Sterben des stationären Einzelhandels wurde viel strapaziert, doch meiner Meinung nach wird es diese Form der Warenpräsenz und des Verkaufs mit der Option auf Beratung in vielen Bereichen auch weiterhin geben. Denn der Shopper sucht das Erlebnis im Einkauf und im Kontakt mit dem Produkt. Unser Shopper Studie hat eindeutig bewiesen, dass Shoppen ein Teil der Freizeitbeschäftigung mit Freunden ist. Aus meiner Sicht wird das in Zukunft nur gelingen, wenn sich der POS und das Denken von Händler und Hersteller ändert, Grenzen zwischen online und offline nicht mehr existieren und wir noch Shopper zentrierter arbeiten. Es ist nicht sinnvoll die Verkaufskanäle zu trennen, sondern beide als Einheit zu betrachten. Offline ist notwendig für Vertrauen, die Beratung und das echte Erlebnis und Online bedient die Convenience im Shopping-Prozess.

Das Erlebnis mit der Marke und dem Produkt steht immer im Mittelpunkt und nur das bindet den Kunden stark an die Marke.